Wow. Sie sieht heute ganz verwandelt aus. Sie ist sehr hübsch, schlank und groß. Sie ist nett, sehr nett sogar, und strahlt so viel Liebe aus – eine Traumfrau. Was ist aus dem traurigen Blick der letzten Monate geworden?
Seit ich sie kenne, sah meine Laufpartnerin immer traurig und niedergeschlagen aus. Die Schultern hingen nach vorne. Der Kopf war ein wenig zur Seite geneigt, die Augen schienen leer und traurig. Ihr Blick erinnerte mich an einen Hushpuppy – dieser traurig dreinblickende Hund mit Schlappohren, über die er mit seinen viel zu kurzen Beinen stolpert. Ich hatte immer das Gefühl, dass irgendetwas nicht zusammenpasst – so eine tolle Frau und so ein trauriger Hundeblick. Während eines längeren Laufs erzählte sie vor einiger Zeit, dass sie und ihr Mann gerade keine gute Phase hätten…
Heute wirkt sie plötzlich ganz anders – zum ersten Mal nach zehn Monaten. Ihre Schultern hinten und die Brust raus. Sie steht aufrecht, ihren Kopf trägt sie gerade. Ihre Augen strahlen mich an, sie leuchten. Sie lacht.
„Was ist los?“, platze ich direkt heraus.
„Mein Mann und ich haben uns getrennt“, sagt sie.
„Ganz offensichtlich eine gute Entscheidung!“
„Ja, ich bin total erleichtert… und er auch.“
Ich kenne dieses Gefühl. Viele Jahre meines Lebens habe ich selbst als Hushpuppy verbracht. Oh, war das eine Last. Was genau? Eigentlich das ganze Leben. Das war ja alles so viel. Das Haus und der Garten. Wir wollten ja nicht nur ein einfaches Reihenhaus, es sollte schon ein Garten außen herum sein. Dann die Kinder versorgen. Das bedeutete, dass mindestens 40 Prozent meines Hirns immer, 24x7x365, damit belegt waren, gedanklich bei ihnen zu sein. Ihre Termine, mögliche Bedürfnisse, mögliche Gefahren. Ohne mich ging gar nichts, dachte ich. Wenn ich die Kinder im Winter nicht selbst anziehe, dann frieren sie und sind krank. Er weiß nicht, wie man Kinder anzieht. Dann wollte ich den Mann des Hauses, das Familienoberhaupt, den Versorger, möglichst komplett für seine Arbeit freihalten. Schließlich ernährte er ja die Familie. Selbst ging ich auch noch arbeiten. Locker hätte mein Geld ausgereicht, um mich und die Kinder zu ernähren. Die Aufgabe war entsprechend anspruchsvoll. Das habe ich nur so nicht wahrgenommen.
So war ich nun rund um die Uhr mit den Bedürfnissen der anderen beschäftigt. Ich, Barbara, kam eigentlich gar nicht vor. Ach, ich war ja so arm dran! „Die armen Frauen heutzutage, müssen ja wirklich alles machen!“ In diesem Punkt war ich mir mit meinen Freundinnen einig. So schauten wir nun jahrelang aus unseren Hushpuppy-Augen.
Ich erinnere mich ganz genau an den Tag, an dem wir uns trennten. Es war ein Schock. Gleichzeitig setzte eine ungemeine Erleichterung ein, als ob eine sehr schwere Last von meiner Seele gefallen war. Ist das nicht unglaublich? Ich fühlte mich ganz leicht. Ich fing an zu lächeln. Ich fühlte mich sanfter. Ich schaute nach oben in den blauen Himmel und freute mich über die Wolken, die vom Wind fortgeblasen wurden. Ich nahm die Welt anders wahr.
Was habe ich vorher mit mir herumgetragen, ohne dass es mir bewusst war?
Ich dachte doch immer, dass alles so richtig sei, dass es so sein müsste.
„Wenn man kleine Kinder hat und sich in dieser Lebensphase befindet, dann ist das halt so! Das war doch bei unseren Eltern genau so. Das muss so sein…“, dachte ich.
Offensichtlich nicht – sonst hätte ich doch nicht diese ungemeine Erleichterung gespürt. Sonst hätte sie doch heute nicht so gestrahlt, nachdem sie die Entscheidung zur Trennung getroffen hatte.
Woran lag es also, dass wir früher aussahen wie Hushpuppies? Lag es an diesen Schuhen, die uns unsere Eltern in den Siebzigerjahren gekauft haben? Oder daran, dass wir vorwiegend nicht mit Muttermilch, sondern künstlicher Babynahrung gefüttert wurden? Oder daran, dass uns die Mandeln im Kollektiv herausoperiert wurden und wir Tage alleine im Krankenhaus verbringen mussten? Oder daran, dass wir „Dalli Dalli“ und „Zum blauen Bock“ geschaut haben? Oder vielleicht daran, dass die Neue Deutsche Welle über uns hinwegrollte?
Wer sucht, wird immer viele Gründe finden, Mamas Schuld, Papas Schuld, Tante Erikas Schuld…
Mit ihrer wundervollen Ausstrahlung sieht sie heute einfach toll aus. Sie ist da. Zum ersten Mal sehe ich sie wirklich. Endlich hat sie eine Entscheidung für sich selbst getroffen.
Hushpuppy, mach Platz!
Liebe Barbara, ich komme gerade auf den Gedanken, dass man sich vielleicht gar nicht in erster Linie von einem Lebenspartner trennt. Man trennt sich von einem Leben auf Sparflamme, das keinem mehr gut tut und bricht auf zu einem neuen, in dem man sich selbst besser spürt, sich wiederfindet. Auf einmal können wir wieder wach, voll da und natürlich wunderschön sein. Danke für Deine Geschichte.
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