Die bekanntesten Gesetze unserer westlichen Welt sind wohl die zehn Gebote. Obwohl sie so steinalt sind, kennen wir sie alle. Ich musste sie noch auswendig lernen. Die meisten davon fangen an mit „Du sollst…“. Wie mache ich mich frei von diesen und anderen Vorschriften und entscheide wieder selbst?
Puuuh. Ausatmen. Tür zu. Endlich! Er ist weg. Jetzt kann ich machen, was ich will. Ich drehe die Musik volle Pulle auf: Let´s groove tonight. Die Wände vibrieren. Nichts hält mich mehr. Laut singend tanze ich durchs ganze Haus.
„Let´s groove tonight, share the spice of life, baby slice it right, we´re gonna groove tonight…“
Wow, wie in alten Zeiten. Das war was: Monaco – Yacht Club – Gala Diner. Die Bühne wird dunkel. Eine tiefe Stimme meldet sich. „We now proudly present… Earth… Wind… and… Fire“. Die Welt schien mir zu gehören. Alles war möglich und noch viel mehr! Ich konnte nur gewinnen. Die Nacht haben wir durchgetanzt. Träume konnten nicht groß genug sein.
Verrückte Sachen haben wir früher gemacht: Mit Abfahrtsskiern über Lawinenhänge geschlichen, um Silvester auf der Hütte zu feiern. Mit Plumsklo und Mäusen, die hinter den Matratzen tanzten. Barfuß liefen wir im Schnee um die Hütte, die Füße fielen uns fast ab. Wir hangelten uns ohne Bodenberührung um den Tisch, tanzten Michael Jacksons Moonwalk in Skiunterwäsche und Stricksocken. Nie wollten wir spießig werden. Was ist passiert, dass es doch so gekommen ist?
Der Kinder wegen? Um ein gutes Vorbild zu sein? Ordentlich am Tisch sitzen, Gabel links, Messer rechts, Handgelenke an der Tischkante. Nicht sprechen, wenn noch was im Mund ist.
Ich koche mir ein paar Nudeln, kippe kalte Tomatensoße drüber und setze mich mit dem Topf ins Bett vor den Fernseher. Ja! Alles das, was man nicht machen soll. Und genau deswegen mache ich es jetzt, und es ist so ein Spaß. Keiner meckert mehr: „Was machst du denn da? Das ist ja asozial.“
Ich soll, du sollst, man soll… Stopp. Schluss mit „sollen“. Wer sagt das? Wer bestimmt, was gesollt werden soll? Man sollte das Wort „sollen“ aus dem Wortschatz streichen und ersatzlos durch „könnte“ ersetzen.
Ich soll nur am Esstisch essen.
Wenn ich wirklich wollte, dann könnte ich am Tisch sitzen und essen.
Ich soll mich mehr um die anderen kümmern als um mich.
Wenn ich wirklich wollte, dann könnte ich mich mehr um die anderen kümmern als um mich.
Ich soll aufräumen.
Wenn ich wirklich wollte, dann könnte ich aufräumen.
Ich kann es auch sein lassen. So viel Entscheidungsfreiheit in einem kurzen Wort. Endlich erlaube ich mir, dass es zu Hause mal nicht perfekt und superordentlich aussehen muss. Ich lasse mein benutztes Glas einfach auf dem Tisch stehen. Das Geschirr steht zum ersten Mal seit ewigen Zeiten ungespült auf der Spüle. Die verwelkten Blumen werfen ihre Blätter ab, und ich lasse sie liegen. Ein Freund kommt zu Besuch, um zu sehen, wie es mir geht.
„Oh“, sagt er. „Hier sieht es ja mal wohnlich aus!“
Das nenne ich Feedback. Ist es wirklich so schlimm?
Ja, ist es. Ein paar Tage später habe ich den Beweis. Mein Noch-Mann hat sich für 16 Uhr angemeldet. Wir wollen miteinander sprechen. Um 15.30 Uhr beobachte ich mich, wie ich anfange, die Wohnung abzuscannen. Wo soll ich noch aufräumen? Was liegt noch rum? Sollte ich vor der Haustür noch schnell fegen? Wie sieht es aus mit dem Unkraut auf dem Kiesweg? Ist noch genügend Senf im Kühlschrank?
Stopp. Was tue ich denn da? Das glaube ich ja jetzt selbst nicht! Ich mache mir tatsächlich Gedanken darüber, was er kritisieren könnte, wenn er hereinkommt. Ich befürchte seine Blicke nach dem Motto „Wie sieht es denn hier aus!“ Ich dachte bisher, das sei nur vor dem Besuch der Eltern oder Schwiegereltern so und merke jetzt, dass ich das auch immer getan habe, bevor mein Ehemann nach Hause kam. Das gibt es doch gar nicht. Bin ich so altbacken?
Noch zu den Zeiten unserer Eltern Ende der Fünfzigerjahre konnte der Ehemann die Scheidung einreichen mit der Begründung, dass die Ehefrau den Haushalt nicht gut genug führe und auf dem Schrank noch Staub liege. Die Schuld lag dann rechtlich gesehen bei der Frau, sie hatte keinen Unterhalt nach der Trennung zu erwarten. Diese Zeiten sind doch längst vorbei! Zwar hat sie heute auch keinen oder kaum Unterhalt zu erwarten, aber wenigstens hat sie nicht mehr Schuld, wenn der Senf alle ist und sie ihren häuslichen Pflichten nicht nachgekommen ist. Das Würstchen bleibt dann halt allein.
So, und was soll ich jetzt machen?
Äh, was könnte ich jetzt machen? Er kommt gleich.
Nichts. Ich räume einfach nicht auf. Soll er doch denken, was er will. Ich drehe die Musik wieder auf. „Let this groove, get you to move, it´s alright, alright…“
Ich könnte die Musik leiser drehen, um die Klingel zu hören. Nö. Was soll´s.
Yeah, lass es rocken…. Meine Mutter sagte immer: Wer nie sein Brot im Bette ass, weiss auch nicht, wie Krümel pieken….
Eine ältere Bekannte sagte zu mir, sie lässt sich nicht zum Sklaven ihrer Wohnung machen und das sollten – äh – wollen wir auch nicht.
Dito Astrid – go for Krümmel!
Liebe Grüße Barbara
Hi, ich hab‘ mich auch mal eine Zeitlang verrückt gemacht, da wir umgezogen waren und das neue Haus immer schön ordentlich aussehen sollte. Dazu gehört aber leider auch, daß nix unschön rumliegen darf und der Flur immer gleich gewischt wird, wenn jemand mit Drecklatschen durchläuft. Ohoh, war ich genervt und gereizt. Hab‘ das Projekt dann nicht weiter verfolgt – fühle mich dadurch deutlich besser. LG Silke
Interessant – wir hatten als Teenager mal das umgekehrte Projekt im Wohnheim: Wie lange hält man es durch, nicht zu putzen, den Müll nicht rauszubringen und das schmutzige Geschirr nicht zu spülen. Wir waren 4 Mädels im Zimmer. Wir mussten das Projekt nach 4 Wochen abbrechen, da die Heimleitung interveniert hat. LG Astrid
Eben! Alles hat zwei Seiten. Und hier im Wohlstandblog scheint mir doch etwas in Schieflage geraten zu sein? WIe wärs mal mit dieser Überlegung?
http://www.kath.net/news/44556
Liebe Anni, vielen Dank für Deinen Kommentar. Ja die Meinungen gerade zum Thema Frauen und Berufstätigkeit sind sehr unterschiedlich. Ich habe den empfohlenen Blogbeitrag gelesen. Danke dafür. Es ist toll, das wir in einer Zeit leben, in der jeder seine eigene Entscheidung treffen kann.
Herzliche Grüße
Barbara