Es ist dieser Tag. Dieser eine Tag. Es gibt wenige solcher Tage. Auf einmal sieht die Welt anders aus. Schnauze voll, so weiterzumachen! Anders! Jetzt! Wie? Keine Ahnung.
Es war ein stinknormales Wochenende. Freistehendes Einfamilienhaus. Mutter, Vater, Kind, Kind, Kühlschrank. Wir wurschtelten alle so rum. Und dann kam der Satz. Der Satz, der mich zum Verzweifeln, zum innerlichen Explodieren brachte. Die Wucht der Erkenntnis katapultierte mich unmittelbar zum Mond, von dem ich nun auf die Erde und auf mich selbst hinunterblickte und meine Stimme zu mir sagte: “Wo bist Du gelandet? So hast Du Dir Dein Leben nicht vorgestellt, Barbara.”
Mein Mann öffnet den Kühlschrank. Ich höre den Satz. Die Luft vibriert schon, noch bevor das erste Wort mein Ohr erreicht.
“BARBARA!”
Ich zucke zusammen. Was ist passiert? Mein Nacken ist sofort angespannt. Schrecksekunde. Ich halte die Luft an. Um Gottes Willen, was ist geschehen? Das sind die Reaktionen, die von uralten Instinkten aus der Zeit übrig geblieben sind, als wir noch Angst haben mussten, dass uns ein wildes Tier überrascht. Der Körper reagiert blitzschnell, um nicht gefressen zu werden.
“BARBARA!!!”
Kurze Pause.
Es ist unfassbar, wie viele Gedanken wir in einer Sekunde haben können. Vierzigtausend Reize verarbeitet unser Hirn pro Sekunde! Was habe ich falsch gemacht? Läuft die Kühlflüssigkeit aus? Ist eine Leiche im Kühlschrank? Ein Kind in Not? Wenn früher ein Polizeiwagen hinter mir auftauchte, war auch sofort mein erster Gedanke: Was habe ich verbrochen? Zu schnell? Rote Ampel überfahren? Gar noch Schlimmeres – habe ich jemanden überfahren, ohne es zu merken?
Der Puls ist fühlbar hochgeschnellt. Mein Kopf pocht.
“Sag schon!!!”, schreit es in mir. Und er vollendet mit…
“DER SENF IST ALLE!”.
Hä?
Der Weg vom Ohr zum Hirn kann ziemlich lang sein. In diesem Moment ist er extrem lang. Ich versuche den Zusammenhang zu erfassen zwischen dem Mann, dem Kühlschrank und dem mit einem Magneten am Kühlschrank befestigten Einkaufszettel.
Ich gehe bei uns in der Familie einkaufen. Ich gehe nicht nur einkaufen und schleppe den Einkauf ins Haus, ich mache auch sonst alles. Ich kümmere mich darum, dass das Haus in Ordnung ist. Ich kümmere mich um die Hausaufgaben. Ich bezahle alle Rechnungen, kümmere mich um die Finanzen. Ich mache die Steuererklärung. Ich besorge die Geschenke für seine Nichten. Ich male mit den Kindern Bilder für seine Eltern. Ich mähe den Rasen, obwohl er auf dem Handrasenmäher bestanden hat, damit er gleich ein Fitnesstraining hat. Einmal (einmal!) hat er den Rasen gemäht. Ich zupfe das Unkraut vom Kiesweg. Selbst die letzte seiner Aufgaben habe ich übernommen – die Mülltonnen rausstellen! Ich räume alles auf. Ich bringe das Altglas und das Altpapier weg. Arbeitsteilung – was ist das? Und ins Büro gehe ich nebenbei auch noch.
Ich habe nie etwas gesagt. Streits habe ich vermieden. Ich hatte sie mir abgewöhnt. Er hat mich ja sowieso nie verstanden. Rhetorisch war er eh besser. Damit verdient er ja sogar sein Geld. Aber jetzt reicht‘s! Nein! Nicht noch seine Sekretärin. Das werde ich nicht. Ganz bestimmt nicht.
Sein Vater kam mittags früher immer zum Essen und für ein Nickerchen nach Hause. Die Mutter hatte fein gekocht und auf der weißen Tischdecke serviert. Vaddi hat sich dann ein halbes Stündchen auf die Couch gelegt. Alle mussten leise sein. Dann ist er wieder bis um 17 Uhr arbeiten gegangen. Danach das gleiche Spiel. Am nächsten Morgen ist sie vor ihm aufgestanden, um das Frühstück zu bereiten. Drei kleine Kinder. Kein Auto. Keine Pause.
Ich höre mich nur schreien:
“DANN SCHREIB ES AUF! ICH WERDE GANZ BESTIMMT NICHT NOCH DEINE SEKRETÄRIN ODER DEIN DIKTIERGERÄT! DA HÄNGT DER ZETTEL!”
Seither sind vier Jahre vergangen. Ich habe mich für einen neuen Weg entschieden! Gegen das Sekretärinnendasein. Seine Sekretärin wohnt inzwischen bei ihm, weil sie so hilfsbereit ist.
Ich habe einiges hinter mir und noch vieles vor mir. Und es ist großartig!
Willkommen im echten Leben. Willkommen in echten Gefühlen.
Ich bin meinem Ex-Mann dankbar. Sehr dankbar und das meine ich genau so – ohne jegliche Ironie. Ich bin aufgewacht, und das ist gut so. Maschinen haben keine Gefühle. Seither ist Veränderung angesagt. Endlich ist mein Leben wieder spannend.
Kein Stein bleibt auf dem anderen. Das Ziel ist klar.
Eines meiner schönsten Erlebnisse war, als ich mit acht Jahren auf einer Blumenwiese einen Wiesenblumenstrauß gepflückt habe. Es waren tausende von unterschiedlichen Blumen. Gänseblümchen, Butterblumen, Schafgarbe, Glockenblumen, rote, gelbe, violette, weiße, blaue… Immer wieder habe ich neue entdeckt. Eine war schöner als die andere.
So unfassbar schön! So schön soll mein Leben wieder sein – genau so schön.
Jeden Tag. Jede Minute.
Spitze 🙂 !
Oh dankeschön!!
Richtig gut! Ich habe sehr gelacht und will meeeeehhhhrrr!!!
Ist mitten aus dem Leben, mit der richtigen Portion an Selbstironie.
Lachen ist so herrlich. Besonders über sich selbst. Vielen Dank für das tolle Feedback und ich produziere weiter den Senf.
Köstliche Schilderung!…..Danke daß Du mich besucht hast!
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